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Klimawandelstopper13

Die Besonderheit der Risiken des Globalen Wandels ( Risikotypen, Klimakatastrophen und andere Katastrophen )

Globale Risikopotentiale und ihre Wechselwirkungen mit ökonomischen, sozialen und ökologischen Wandlungsprozessen ( Klimawandel) sind zu einer Herausforderung für die internationale Gemeinschaft geworden. Niemals zuvor haben die Eingriffe des Menschen in die Natur eine globale Reichweite erreicht. Dazu haben auf der einen Seite u. a. die Zunahme der Weltbevölkerung, v. a. in den Entwicklungsländern, und auf der anderen Seite die Erhöhung des Anspruchsniveaus der Menschen in Verbindung mit einer bestimmten Wirtschafts- und Produktionsweise (Durchflußwachstum), v. a. in den Industrieländern, beigetragen. Mit diesem Gutachten will der Beirat einen konstruktiven Beitrag zu einem effektiven, effizienten und sachlichen Umgang mit Risiken des Globalen Wandels leisten, indem

  • · global relevante Risiken typisiert und dabei die besonders gravierenden Risikotypen herausgestellt werden,
  • · diesen Typen sowohl bewährte als auch innovative Strategien zur Risikobewertung sowie entsprechende Instrumente für das Risikomanagement zugeordnet werden, so daß daraus Managementprioritäten festgelegt werden können.
  • Bei der Frage nach dem Umgang mit globalen Risiken spielt die Vorgehensweise bei der Wissensgenerierung und -anwendung zur Erfassung und Behandlung von Risiken eine entscheidende Rolle. Zunächst ist offensichtlich, daß eine Abkehr von dem in der empirischen Wissenschaft bislang dominierenden Prinzip "Versuch und Irrtum" in weiten Teilen unumgänglich ist, da ein Irrtum mit globalen Folgen zu inakzeptablen Schäden führen könnte. Das Motto "Abwarten und die eventuell auftretenden Schäden bekämpfen" ist in einer global vernetzten Welt, in der Katastrophen schneller globale Ausmaße annehmen können als je zuvor, keine ethisch verantwortbare Handlungsmaxime. Umweltrisiken der Vergangenheit waren in der Regel auf Regionen beschränkt. Die Entwaldung Griechenlands im Altertum hat bis heute die Nutzungspotentiale der Böden aufgrund von Erosion und Verkarstung deutlich reduziert, aber diese Umweltbeeinträchtigung blieb lokal beschränkt. Dagegen sind viele der heutigen Umweltrisiken globaler Natur. Wenn der Golfstrom versiegt, der Meeresspiegel ansteigt oder eine neue Spanische Grippe die gesamte Welt heimsuchen sollte, dann sind die Konsequenzen für die Menschheit so einschneidend und möglicherweise auch irreversibel, daß selbst bei geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten eine frühzeitige Gegenstrategie dringend erforderlich ist. Je weitreichender die möglichen Folgen sind und je weniger Kompensationsmöglichkeiten bestehen, desto wichtiger ist eine an Vorsorgemaßnahmen orientierte Risikopolitik, um globale Katastrophen so weit wie möglich zu vermeiden.
    Gleichzeitig ist es aber unmöglich, sich gegen alle globalen Risiken abzusichern, zumal mit Risiken auch Chancen verbunden sind. Der amerikanische Soziologe Aaron Wildavsky hat dieses Dilemma mit dem treffenden Satz "No risk is the highest risk at all" beschrieben. Aus diesem Grund sieht der Beirat dieses Gutachten auch als einen Versuch, durch eine kluge Verbindung von Genehmigungen, staatlichen Regulierungen und Haftungsregeln sowie die Anwendung staatlicher Vorsorgeprinzipien bzw. institutioneller Vorkehrungen ein höheres Maß an Zuversicht in die Management-kapazität moderner Gesellschaften zu geben und damit zu einer Versachlichung der internationalen Risikodebatte beizutragen. Versachlichung bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, die potentiellen Opfer der Risiken für ihre verständliche Risikoscheu zu maßregeln. Noch weniger geht es um eine Verharmlosung globaler Risiken. Vielmehr versteht der Beirat den Begriff der Versachlichung als eine dringend gebotene Aufforderung, den realen Gefahren mit allen damit verbundenen Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten zielführend, rational und effizient zu begegnen, und gleichzeitig die mit dem Eingehen von Risiken verbundenen Chancen zu nutzen. Ohne Risikobereitschaft werden sich keine Innovationen durchsetzen können. Ohne Innovationen werden wiederum die globalen wirtschaftlichen und ökologischen Probleme ungelöst bleiben. Es gilt also, zwischen Vorsicht und Wagnis den richtigen Mittelweg zu finden.
    Diesen Mittelweg zu finden wird dadurch erschwert, daß der empirisch orientierten Forschung die Möglichkeit fehlt, die Folgen von globalen Umweltrisiken experimentell nachzuweisen oder sogar vorherzusagen. Wenn man auch in Modellversuchen Teilaspekte globaler Risiken untersuchen kann, so sind die empirischen Testversuche für globale Auswirkungen aus naheliegenden Gründen begrenzt. Niemand wird beispielsweise ausprobieren wollen, ob ein Schadensereignis in einem Kernkraftwerk, das knapp über ein noch beherrschbares Unfallszenario hinausgeht, wirklich zu den vorausgesagten Folgen für Gesundheit und Umwelt führen wird. Noch schwieriger wird ein empirischer Überprüfungsversuch beim Nachweis von geophysikalischen Risiken.
    Erstmalig in der Geschichte der Menschheit stellen anthropogene Emissionen einen erheblichen Anteil an natürlichen Stoffkreisläufen. Messungen können zwar die Dynamik und Verteilung der Konzentrationen widerspiegeln, sie sagen aber wenig über die langfristigen Folgen aus. Auch Versuche in Labors, diese Folgen auf kleinerem Skalenniveau zu modellieren, stoßen schnell an Grenzen der Übertragbarkeit. In diesem Fall ist die Wissenschaft weitgehend auf Analogieschlüsse (etwa im Bereich der medizinischen Risiken) oder auf Computersimulation (etwa im Bereich der Klimarisiken) angewiesen. Nichtlineare Prozesse und komplexe Wirkungsmuster in der Natur lassen sich aber bisher nur bedingt durch Modellierung, Simulationen oder andere methodische Werkzeuge erfassen. Bedenkt man darüber hinaus, daß gerade in der Ökologie diese nichtlinearen und komplexen Ursache-Wirkungs-Ketten vorherrschen, dann ist die Aussagekraft wissenschaftlicher Prognostik zwangsweise von hohen Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten geprägt, die sich auch bei großem Aufwand nur bedingt reduzieren lassen (Kap. E). Es führt also kein Weg daran vorbei, daß Risikopolitik in einem Nebel von Ungewißheit, Unwissenheit, Unsicherheit und Unbestimmtheit nach einem sachgerechten und ethisch verantwortbaren Pfad suchen muß (Kap. G).
    Vor diesem Hintergrund möchte der Beirat mit seinem Jahresgutachten durch eine sorgfältige Analyse und Bewertung der Risiken des Globalen Wandels eine sachliche Auseinandersetzung um die Akzeptabilität von Risiken fördern. Wie in seinen früheren Gutachten will der Beirat auch in Bezug auf globale Risiken spezifische Leitplanken aufzeigen, deren Überschreitung unverhältnismäßige Schäden für Mensch und Umwelt hervorbringen kann. Bei riskanten Aktivitäten erweitern sich die Leitplanken zu einem Grenzbereich im Sinn einer kritischen Zone. Fällt ein Risiko in den Grenzbereich, dann sind besondere Sorgfalt und spezielle Vorsorgemaßnahmen angebracht.
    Dabei können Risiken des Globalen Wandels nach Ansicht des Beirats nur mit Hilfe einer systemaren Analyse hinreichend genau abgeschätzt und effektiv begrenzt werden. Denn die für das Mensch-Umwelt-Verhältnis typischen Probleme überschneiden sich gegenseitig und bilden eine komplexe Struktur von Auslösern, Modulatoren und Effekten. Beispielsweise überlagern sich die Risiken durch Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt, Bodendegradation und Ernährungsunsicherheit mit typischen Erscheinungen des Globalen Wandels wie Verstädterung, Bevölkerungswachstum, Migration oder Verarmung. Auch politische Faktoren (z. B. Menschenrechte, Art der Regierungsführung, institutionelle Stabilität und Vertrauenswürdigkeit) spielen hierbei eine wesentliche Rolle.
    Die Bewältigung der Risiken des Globalen Wandels sollte dabei grundsätzlich so nah wie möglich an den individuellen Risikoverursachern ansetzen, d. h. nach Möglichkeit auf der lokalen oder regionalen Ebene. Insofern begrüßt der Beirat eine Managementphilosophie, die zunächst weitgehend auf das Haftungsprinzip setzt. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern geeignet sein oder entsprechende Bedingungen geschaffen werden. Viele globale Risiken, v. a. wenn die Schadenshöhe weitgehend ungewiß ist, erfordern darüber hinaus eine überregionale und staatliche bzw. internationale Regelung (Kap. H 2).
    Es sind nicht nur die Eigenschaften globaler Probleme, die eine globale Risikovorsorgepolitik erforderlich machen, es ist auch die zwischen den Ländern bestehende Ungleichheit in der Kapazität, mit solchen Risiken effektiv und effizient umzugehen, die internationale Anstrengungen zu einer nationenübergreifenden Kooperation und Koordination von Risikovorsorge und Katastrophenschutz sinnvoll erscheinen lassen. Der Beirat sieht solche Disparitäten insbesondere bei der Erfassungs- und Bewertungskapazität in Bezug auf globale Risiken, bei der entsprechenden Managementkompetenz sowie bei der Anfälligkeit (Verwundbarkeit) gegenüber den Risiken des Globalen Wandels. Zum Beispiel sind die Regierungen mancher Entwicklungsländer nur unzureichend oder nur zeitverzögert in der Lage, neue Risiken zu bewerten und wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Hinzu kommt, daß viele Länder nur wenig ausgeprägte institutionelle Vorkehrungen zum Risikomanagement und zum Katastrophenschutz ausgebildet haben. Auch strukturelle Defizite und Implementierungsprobleme sind hier zu nennen. Deshalb spricht der Beirat der finanziellen und technischen Entwicklungszusammenarbeit eine besondere Rolle in einer globalen Risikovorsorge zu. Darüber hinaus erfordern Risiken des Globalen Wandels, bei denen international hoch bewertete Schutzgüter betroffen oder globale Wirkungen zu erwarten sind, ein Management auf globaler Ebene. Dies wird deutlich an Beispielen wie einer möglichen Welternährungskrise (Kap. E 3.2), dem globalen Klimawandel (Kap. D 6) oder der Ausbreitung "alter" und neuer Seuchen (Kap. D 3 und E 3.1).
    Bei der Vielzahl von Risiken und möglichen Bedrohungen auf der einen und der unbestrittenen Notwendigkeit zur Förderung von Innovationen und neuen technischen Entwicklungen auf der anderen Seite hofft der Beirat, durch die Kombination von Leitplankenphilosophie, Betonung des Haftungsprinzips und einer managementorientierten Klassifizierung von Risikotypen eine dem Risikophänomen angemessene und gleichzeitig praktikable Vorgehensweise entwickelt zu haben, die einen Beitrag zu einer risikobegrenzenden und chancenfördernden Gestaltung des Globalen Wandels leisten kann. Kernelemente dieses Konzeptes sind Maßnahmen zur besseren Auswertung bereits vorhandenen bzw. zur Generierung neuen Wissens sowie Strategien zur "Eingrenzung von Risiken". Dadurch werden je nach Risikotyp gestufte Antworten und angepaßte Begrenzungsinstrumente entwickelt.
Wasssertemperatur

Graphik: Anstieg der durchschnittl. Wassertemperatur 1860-2003

 

  • Die folgenden Handlungsstrategien sind deshalb von dem Leitgedanken getragen, Entscheidungshilfen bereitzustellen, die auf der einen Seite sicherstellen, daß die Staatengemeinschaft in ihrer Handlungsfähigkeit und Innovationskraft nicht erlahmt oder gar in einer unproduktiven Vorsichtshaltung verharrt, und auf der anderen Seite Gewähr dafür bietet, daß die Bedrohungspotentiale globaler Risiken nicht verdrängt, sondern beherzt und vorsorgeorientiert angegangen werden. Diese Empfehlungen sind auf die Typologie von Risiken ausgerichtet, die der Beirat für dieses Gutachten entwickelt hat. Diese Risikotypen sind ausführlich in Kap. C abgeleitet und im Kap. H zur Begründung von typenbezogenen Strategien herangezogen worden. Diese Typen werden auch bei den Verfahrensvorschlägen zum Umgang mit defizitärem Wissen (Kap. G 4) und zum Management globaler Risiken (Kap. F 6) angesprochen

2 Einordnung der Risiken nach Normal-, Grenz- oder Verbotsbereich

Die Menschheit ist einer kaum zählbaren Vielfalt von Risiken ausgesetzt. Ein Teil dieser Risiken ist mit natürlichen Abläufen und Ereignissen verbunden, andere sind aufgrund von menschlichen Aktivitäten entstanden oder verstärkt worden. Das grundsätzliche Dilemma besteht darin, daß alle menschlichen Aktivitäten mit unbeabsichtigten Nebenwirkungen verbunden sein können, gleichzeitig aber die Bedürfnisse des Menschen ohne derartige Aktivitäten nicht zu erfüllen sind. Risiken einzugehen, ist also ein notwendiger Bestandteil menschlichen Verhaltens und damit erst die Voraussetzung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Gleichzeitig aber ist eine Risikoanhäufung für eine Gesellschaft existenzgefährdend: Wie oben aufgeführt gilt es, einen Mittelweg zwischen Chancenwahrnehmung und Risikobegrenzung zu finden.
Der Beirat ist der Überzeugung, daß es keine Rezepte gibt, Risiken pauschal zu bewerten. Vor dem Hintergrund weltweit divergierender Präferenzen und Entwicklungszustände müssen Risiken als heterogene Phänomene angesehen werden, die eine einheitliche Bewertung und Behandlung verbieten. Gleichzeitig ist aber die Risikopolitik überfordert, wenn sie bei jeder Aktivität eine eigene Strategie zur Risikobeurteilung entwickeln und einsetzen würde. Ähnlich wie es heute bereits bei der Bewertung von toxikologischen Risiken üblich ist, erscheint dem Beirat eine Aufteilung der verschiedenen Risiken in Risikotypen sinnvoll. Die Einteilung in diese Risikotypen ist v. a. von dem Grundanliegen getragen, typenspezifische Verfahrensweisen und Managementregeln zu entwickeln, die einen den Risiken angemessenen und dem Begrenzungsauftrag angepaßten Umgang mit Risiken erlauben.
Das vom Beirat empfohlene Verfahren zum Umgang mit Risiken läßt sich in einem einfachen Entscheidungsbaum darstellen (Abb. 2-1). Stehen ein Betreiber, eine Regulierungsbehörde oder eine andere an einer riskanten Aktivität oder Technik interessierte Gruppe vor der Frage der Risikobewertung, dann sollten die Fragen beantwortet werden, die im Entscheidungsbaum aufgeführt sind. An der Spitze des Baumes steht die Frage, ob die Risiken einer neuen Aktivität oder Technologie soweit bekannt sind, daß man einen begründeten Verdacht für eine kausale Beziehung zwischen dem Risikoauslöser und möglichen Schadenswirkungen feststellen, die potentiellen Schäden zumindest identifizieren und die Wahrscheinlichkeiten grob schätzen kann. Sind die Risiken nahezu oder völlig unbekannt, sind die klassischen Vorsorgestrategien gefragt, die aus 3 Teilen bestehen: eine vorsichtige, auf Eindämmung der Risiken ausgerichtete Weiterentwicklung der risikoerzeugenden Aktivitäten, eine Stärkung der Resilienz betroffener Systeme und (Begrenzungsstrategie) eine Intensivierung der Forschungsanstrengungen, um in Zukunft eine eindeutige Einordnung in die verschiedenen Risikotypen zu ermöglichen und mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erfassen, und schließlich die Institutionalisierung eines Frühwarnsystems zur Erkennung und Erforschung von Risiken (Kap. G 4).
Kommt man bei der ersten Frage zu dem Schluß, daß ein begründeter Verdacht zwischen Auslöser und Wirkung vorliegt, die Schadenspotentiale weitgehend identifizierbar sind und die Wahrscheinlichkeiten grob abgeschätzt werden können, dann stellt sich die 2. Frage, ob es sich um ein Risiko aus dem Normalbereich, dem Grenzbereich oder dem Verbotsbereich handelt. Die Unterscheidung in die 3 Bereiche ist in Kap. C ausführlich beschrieben und in Abb. 2-2 grafisch zusammengefaßt worden. Risiken im Normalbereich zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:

  • · Geringe Ungewißheiten in Bezug auf die Wahrscheinlichkeitsverteilung von Schäden,
  • · insgesamt eher geringes Schadenspotential,
  • · insgesamt geringe bis mittlere Eintrittswahrscheinlichkeit,
  • · geringe Persistenz und Ubiquität (zeitliche und örtliche Ausdehnung),
  • · weitgehende Reversibilität des potentiellen Schadens,
  • · geringe Schwankungsbreiten von Schadenspotential und Eintrittswahrscheinlichkeiten und
  • · geringes soziales Konflikt- und Mobilisierungspotential (v. a. keine deutlichen Bewertungsdiskrepanzen zwischen der Gruppe der Risikoträger und der Gruppe der Chancen- bzw. Nutzengewinner).

In diesem Fall ist eine multiplikative Verknüpfung von Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit unter Einbeziehung der jeweiligen Varianzen sinnvoll und angemessen, wie dies in der technischen Risikoanalyse und der Versicherungswirtschaft seit vielen Jahren praktiziert wird. Sind die beiden Faktoren Schadensausmaß und Wahrscheinlichkeit relativ klein, dann fällt auch das Produkt der beiden in den Normalbereich. Für Politiker signalisieren Risiken in diesem Bereich den "Routinefall", bei dem zumindestens in Europa und in vielen anderen Ländern die bestehenden rechtlichen Vorschriften meist ausreichen. Hier könnte man sogar an zusätzliche Deregulierungsmaßnahmen denken. Wie im nationalen Anwendungsbereich, so sieht der Beirat bei den Normalrisiken auch im internationalen Rahmen keinen unmittelbaren Handlungsbedarf.
 

Die meisten Risiken werden bereits nach der 2. Frage ausgesiebt worden sein. Die Festlegung eines Normalbereichs erlaubt somit eine effektive und innovationsfördernde Politik zur Wahrnehmung von Chancen, so daß es möglich sein wird, Chancen und Risiken einander gegenüberzustellen und systematisch abzuwägen.
Problematischer ist dagegen der Fall, daß die Risiken Bereiche berühren, die über das alltägliche Ausmaß deutlich hinausgehen. Der Grenzbereich wird unter folgenden Bedingungen erreicht:

  • · Die Ungewißheit über die Wahrscheinlichkeitsverteilung von Schäden ist hoch,
  • · das Schadenspotential ist hoch,
  • · die Eintrittswahrscheinlichkeit ist hoch c sie geht gegen 1 (dieser Fall ist, sofern keine der anderen Bedingungen gegeben ist, unter globalen Bedingungen wenig relevant),
  • · die Schwankungsbreiten von Schadenspotential und Eintrittswahrscheinlichkeit sind hoch,
  • · Persistenz, Ubiquität und Irreversibilität sind besonders hoch, wobei ein begründeter Verdacht einer kausalen Beziehung zwischen Auslöser und Folgen vorliegen muß,
  • · aus Gründen der wahrgenommenen Verteilungsungerechtigkeiten oder anderer sozialer und psychischer Faktoren ist mit einem großen Konflikt- bzw. Mobilisierungspotential (Abwanderung, Verweigerung, Protest, Widerstand) zu rechnen. Auch bei Klimakatastrophen.
  • Liegt eine dieser Voraussetzungen vor, dann befindet sich das Produkt aus Wahrscheinlichkeit und Schadensausmaß meist im Grenzbereich. Wenn zu dem hohen Risiko auch noch ein geringer Nutzen oder eine geringe Chancenerwartung hinzukommen oder das Produkt der beiden Risikokomponenten extreme Ausmaße annimmt, dann befindet sich das Risiko im Verbotsbereich. Auch dieser Bereich ist leicht zu handhaben. Im Verbotsbereich sind die erwartbaren Folgen, die mit dem Eingehen eines Risikos verbunden sind, so gravierend, daß eine unbedingte Risikoreduktion zu erfolgen hat. Im Extremfall ist hier sofort mit einem Verbot oder mit einem Moratorium zu reagieren.
  • Problematischer ist der Umgang mit Risiken im Grenzbereich. Hier ist entweder mit relativ hohen Produktwerten bzw. hohen Ungewißheiten zu rechnen, oder eine der verschärfenden Bewertungsdimensionen ist eindeutig verletzt (Kap. C 3). Darunter fallen die Kriterien der Irreversibilität (Schäden sind nicht wieder behebbar), der Persistenz (Schadstoffe akkumulieren sich über lange Zeit), der Ubiquität (Schadstoffe breiten sich weltweit aus) und der Mobilisierung (Risiken führen zu starken Konflikten und ängstigen die Bevölkerung). Ein Sonderfall bezieht sich auf die Risiken, die hohe Schadensausmaße mit einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit verbinden. Normalerweise werden solche Risiken erst gar nicht zugelassen und ohne große Diskussion im Verbotsbereich angesiedelt. Liegt jedoch zwischen dem auslösenden Ereignis und dem Schadenseintritt eine hinreichend große Zeitspanne (Verzögerungswirkung), dann wird die Problematik eines solchen Risikos den Entscheidungsträgern oft nicht bewußt bzw. leicht verdrängt. Solche Risiken sind eigentlich inakzeptabel, werden aber häufig politisch und sozial nicht als solche wahrgenommen.
    Fallen also bei der Beantwortung der 2. Frage im Entscheidungsbaum Risiken in den Grenzbereich, so steht die Ampel der Risikopolitik auf gelb: Besondere Vorsicht ist angebracht. In diesem Fall sollte man zur nächsten Frage im Entscheidungsbaum übergehen und die Risiken bestimmten Risikotypen zuordnen, denn für jeden Risikotyp ( z.B. Klimakatastrophe ) sind spezifische Strategien auszuwählen. Die Lokalisierung der vom Beirat entwickelten Risikotypen ist in Abb. 2-3 wiedergegeben.

     

    3 Aufteilung nach Risikotypen

    Die Aufgabe des Entscheidungsträgers an diesem Knotenpunkt im Entscheidungsbaum besteht also darin, die im Grenzbereich befindlichen Risiken einzelnen Typen zuzuordnen. Wie sind diese Risikotypen definiert? Die charakteristischen Eigenschaften der 6 vom Beirat identifizierten Risikotypen sind in Kap. C ausführlich beschrieben und hier summarisch wiedergegeben.

    Klimawandelszenarien

    Abbildung 2-1

    Entscheidungsbaum zur Klassifizierung von Risiken des Globalen Wandels.

    Quelle: WBGU

     

    Damokles

    Damokles, so der griechische Mythos, war von seinem König einst zu einem Bankett eingeladen worden. Er mußte jedoch sein Essen unter einem scharfgeschliffenen Schwert einnehmen, welches nur an einem hauchdünnen Faden hing. Chance und Risiko hingen für Damokles eng zusammen, und das "Damoklesschwert" wurde sprichwörtlich für eine im Glück drohende Gefahr.
    Dennoch schien der Faden recht stark zu sein, denn der Mythos berichtet nicht von einem Fadenriß mit seinen tödlichen Folgen. Die Bedrohung ging vielmehr von der Möglichkeit aus, daß zu jedem Zeitpunkt, wenn auch mit geringer Wahrscheinlichkeit, ein für Damokles tödliches Ereignis eintreten konnte. Dementsprechend bezieht sich dieser Risikotyp auf Risikoquellen, die mit einem sehr hohen Schadenspotential ausgestattet sind, bei denen aber die Wahrscheinlichkeit, daß sich dieses Potential als Schaden manifestiert, als denkbar gering eingestuft wird. Kernkraftwerke, großchemische Anlagen und Staudämme lassen sich hier als Beispiele nennen. Neben den großtechnischen Risiken fallen auch eine Reihe von Naturkatastrophen unter diesen Typ. Ähnlich wie bei den großtechnischen Risiken sind bei Naturkatastrophen mit bekannten Schadens-Wahrscheinlichkeits-Funktionen große Schadenspotentiale bei meist geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten zu erwarten, wie etwa bei Meteoriteneinschlägen. Anders aber als bei den großtechnischen Risiken sind das politische Mobilisierungspotential und der Druck nach vorbeugendem Risikomanagement wenig ausgeprägt. Naturkatastrophen werden im gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß eher abgeschwächt, technologische Risiken dagegen verstärkt.

     

    Zyklop

    Die griechische Antike kannte starke Riesen, die trotz all ihrer Kraft damit gestraft waren, daß sie nur ein einziges, rundes Auge hatten, weshalb sie "Rundaugen" oder Zyklopen genannt wurden. Mit nur einem Auge läßt sich lediglich eine Seite der Wirklichkeit erfassen: Beim Risikotyp Zyklop sind die Eintrittswahrscheinlichkeiten weitgehend ungewiß, während der maximale Schaden bestimmbar ist. Eine Reihe von Naturereignissen wie Überschwemmungen, Erdbeben und El Niño, aber auch das Auftreten von AIDS fallen in diese Kategorie, sofern über die Eintrittswahrscheinlichkeit keine oder nur widersprüchliche Informationen vorliegen.

    Pythia

    Die Griechen des Altertums befragten in Zweifelsfällen ihre Orakel, deren bekanntestes das Orakel von Delphi mit der blinden Seherin Pythia war. Die Antworten der Pythia blieben jedoch stets für die Ratsuchenden unklar: Es wurde in Pythias Weissagungen zwar deutlich, daß möglicherweise eine große Gefahr drohen könnte, nicht jedoch, wie groß deren Eintrittswahrscheinlichkeit, Schaden oder Verteilung sei. So weissagte die Pythia dem König Krösus, daß, wenn er Persien angriffe, er damit ein großes Reich zerstören würde. Der angriffslustige Krösus verkannte, daß sein eigenes Reich gemeint war. Beim Pythia-Typ besteht demnach hohe Ungewißheit in Bezug auf die möglichen Schadenswirkungen wie auch in Bezug auf die Eintrittswahrscheinlichkeit für bestimmbare Schäden. Zwar kann man das Potential für Schäden angeben, aber die Größenordnungen sind noch unbekannt. In diese Kategorie fallen Risiken, die mit der Möglichkeit plötzlicher nichtlinearer Klimaänderungen verbunden sind, etwa das Risiko eines sich aufschaukelnden Treibhauseffektes oder der Instabilität des westantarktischen Eisschildes, mit weit katastrophaleren Folgen als bei einer schleichende Klimaänderung. Ebenso finden sich dort weitreichende technische Neuerungen wie einige bestimmte Anwendungen der Gentechnik, bei denen weder das genaue Ausmaß der Risiken noch die Eintrittswahrscheinlichkeit für bestimmte Schadensereignisse zum jetzigen Zeitpunkt abschätzbar sind.

     

    Pandora

    Dieser Risikotyp bezieht sich auf Risiken mit persistenten, ubiquitären und irreversiblen Wirkungen. Typische Beispiele dafür sind persistente organische Schadstoffe (POP), die über lange Zeiten in der Umwelt stabil bleiben. Oft sind die Auswirkungen dieser Risiken noch unbekannt, oder es gibt bestenfalls einen begründeten Verdacht hinsichtlich ihrer schädlichen Wirkung. Der Beirat hat diese Risiken mit dem Begriff Pandora bezeichnet. Die Griechen erklärten viele Übel ihrer Zeit mit dem Mythos der Büchse der Pandora, eine Büchse, die von der von Zeus geschaffenen schönen Pandora auf die Erde gebracht wurde, aber nur Übel enthielt. Solange die Übel in der Büchse blieben, war keinerlei Schaden zu befürchten. Wurde jedoch die Büchse geöffnet, wurden alle in ihr enthaltenen Übel freigesetzt, die dann irreversibel, persistent und ubiquitär die Erde heimsuchten.

     

    Kassandra

    Viele Schäden treten mit hoher Wahrscheinlichkeit ein, liegen aber gleichwohl in so weiter Zukunft, daß vorerst niemand eine Bedrohung erkennen will. Dies war das Problem der Kassandra, einer Seherin der Trojaner, die zwar die Gefahr eines Sieges der Griechen korrekt voraussagte, aber von ihren Landsleuten nicht ernst genommen wurde. Der Risikotyp Kassandra stellt somit ein Paradox dar: Sowohl Eintrittswahrscheinlichkeit als auch Schadenspotential sind bekannt, aber weil die Schäden erst nach langer Zeit auftreten werden, entsteht kaum Betroffenheit in der Gegenwart. Risiken vom Typ Kassandra sind nur dann von Interesse, wenn das Schadenspotential und die Eintrittswahrscheinlichkeit relativ hoch sind. Aus diesem Grund ist dieser Typ auch in der Verbotszone angeordnet. Wäre das Zeitintervall kleiner, würden die Aufsichtsbehörden aller Wahrscheinlichkeit nach regulativ eingreifen. Durch die hohe Zeitspanne zwischen Auslöser und Folge wird aber schnell der trügerische Eindruck von Sicherheit erzeugt. Ein Beispiel für einen solchen Effekt ist der schleichende anthropogene Klimawandel, der in vulnerablen Räumen wie Küsten- und Gebirgszonen schwere Schäden auslösen kann.

     

    Medusa

    Die Medusa war, so der antike Mythos, eine von 3 grausamen Gorgonenschwestern, deren bloßer Anblick einen Menschen bereits zu Stein werden ließ. Ähnlich wie die Gorgonen als nur imaginäre Sagengestalten des Altertums Angst und Schrecken verbreiteten, so wirken auch manche neuartigen Phänomene auf den modernen Menschen. Manche Innovationen werden abgelehnt, selbst wenn sie wissenschaftlich kaum als Bedrohung einzustufen sind. Solche Phänomene haben, wie einst die Furcht vor den ja tatsächlich nicht existierenden Gorgonenschwestern, ein hohes Mobilisierungspotential in der Öffentlichkeit. Risiken von diesem Typ liegen nach bestem Wissen der Risikoexperten an der Grenze zum Normalbereich, sind aber aufgrund bestimmter Eigenschaften der Risikoquelle besonders angstauslösend und führen zu massiven Akzeptanzverweigerungen (Kriterium der Mobilisierung). Ein gutes Beispiel für eine solche Mobilisierung ist die Sorge um die krebserzeugende Wirkung von elektromagnetischer Strahlung in geringer Konzentration.

     

    Resümee

    Die Risiken, die sich in die Typen Damokles oder Zyklop einordnen lassen, sind stärker durch plötzliches Eintreten geprägt, während die Risiken in den Typenklassen Medusa, Kassandra und Pandora eher schleichende Gefahren umfassen, die auch im "Normalbetrieb" auftreten. In die Risikoklasse der Pythia fallen sowohl Unfälle als auch Akkumulationseffekte durch kontinuierliche Emissionen.


     

    4 Typenspezifische Handlungsstrategien und Instrumente

    Diese 6 Risikotypen verlangen nach spezifischen Strategien. Die dazugehörigen Instrumente (Kap. H 2.1) werden hier zusammenfassend vorgestellt und im Entscheidungsbaum (Abb. 2-1) abgebildet. Daneben gibt der Beirat zentrale Empfehlungen für die klassischen Handlungsfelder der Risikopolitik (Kap. H 2.2). Das Ziel der Strategien für die Risikotypen ist es, diese aus dem Verbots- oder Grenzbereich in den Normalbereich zu überführen . Es geht also nicht um Reduzierung von Risiken bis zum Nullpunkt, sondern um eine Reduzierung in den Bereich hinein, der ein routinemäßiges Management erlaubt. Sowohl die Strategien als auch die Instrumente bzw. Maßnahmen sind nach Prioritäten geordnet. Natürlich sind im Normalfall mehr als eine Strategie und mehr als ein Instrument erforderlich. Wenn es aber um eine begrenzte Auswahl geht, sollten vorrangig die an oberster Stelle genannten Einträge berücksichtigt werden.

     

    Strategien für den Risikotyp Damokles

    Für Risiken vom Typ Damokles werden vom Beirat 3 zentrale Strategien empfohlen: zunächst durch Forschung und technische Maßnahmen das Katastrophenpotential reduzieren, dann als 2. die Resilienz, d. h. die Robustheit des Systems gegen Überraschungen stärken, und schließlich ein effektives Katastrophenmanagement sicherstellen (Tab. 4-1).
    Im Rahmen der 1. Strategie, das Schadenspotential zu senken und dem Schadenseintritt vorzubeugen, geht es um die Verbesserung technischer Maßnahmen zur Reduzierung des Katastrophenpotentials und um die Erforschung und Durchführung von Maßnahmen zur Verringerung der Schadensausbreitung. Beispielsweise war die bei der Kernenergie in der Vergangenheit vorrangig umgesetzte Strategie, die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Kernschmelze durch technische Maßnahmen weiter zu reduzieren, zu wenig zielführend, um dieses Risiko aus dem Grenzbereich in den Normalbereich zu überführen. Sinnvoller wäre dagegen eine konstruktive Veränderung in Richtung auf Reduzierung des Katastrophenpotentials gewesen (wie dies inzwischen ja auch geschieht). Ebenfalls empfiehlt der Beirat die Einführung bzw. Stärkung von Haftungsregeln, die zur Verbesserung des Wissens und zur Reduzierung der Restrisiken anregen. Zugleich ist es notwendig, Alternativen für Technologien mit unvermeidbar hohem Katastrophenpotential zu erforschen und zu entwickeln, deren Schadenspotential wesentlich geringer ist. Dafür können unter bestimmten Umständen in der Einführungs- und Erprobungsphase Subventionen erforderlich sein.
    Die 2. Strategie zielt darauf, die Resilienz gegenüber den Risikopotentialen zu erhöhen. Dafür müssen übergeordnete institutionelle und organisatorische Strukturen, die Einfluß auf Genehmigungsverfahren, Überwachung, Ausbildung usw. nehmen, gestärkt werden. Gleichzeitig können haftungsrechtliche Regelungen einen vorsichtigen Umgang mit diesen Risiken fördern. Daneben müssen technische Verfahren zur Erhöhung der Resilienz eingeführt oder verbessert werden. Das gelingt u. a. durch redundante Auslegung von Technik und sicherheitsrelevanten Organisationseinheiten, durch die Einbindung von Spielräumen, Puffern und Elastizität (fehlerfreundliche Systeme) und durch Diversifizierung, d. h. Streuung von Risikopotentialen bzw. -quellen. In Form von Technologie- und Wissenstransfers sollten die als resilient betrachteten Organisationsformen und bewährte Genehmigungsverfahren als Vorlage bzw. Vorbild für andere Staaten zur Verfügung gestellt werden. Außerdem sollten die internationale Kontrolle und Überwachung gestärkt sowie ein "internationaler TÜV" eingeführt werden.
    Die letzte Priorität bei den Handlungsstrategien nimmt das Katastrophenmanagement ein, wobei diese Strategie nicht als unbedeutend eingeschätzt wird, jedoch als nachsorgende Strategie zur Schadensbegrenzung hinter den risikoreduzierenden Startegien zurückbleiben sollte. Hier gilt es auch wieder, persönliche und institutionelle Kapazitäten weiter zu stärken, indem nationale Notfallschutzprogramme entwickelt und gefördert werden. Durch Technologie- und Wissenstranfers können die in vielen Industrieländern bewährten Notfallschutzmaßnahmen und -techniken in Form von Ausbildung, Bildung und Empowerment an die lokal wirkenden Risikomanager weitergegeben werden. Schließlich ist eine internationale vorbeugende Katastrophenhilfe, wie sie im Rahmen der von der UNO initiierten Internationalen Dekade für die Verringerung von Naturkatastrophen (International Decade for Natural Disaster Reduction, IDNDR) angestrebt wird, auch für anthropogen verursachte Katastrophen erforderlich.

    Strategien für den Risikotyp Zyklop

    Unter den Maßnahmen und Instrumenten für den Risikotyp Zyklop nimmt die Ermittlung der Eintrittswahrscheinlichkeit oberste Priorität ein, die dafür notwendige Forschung sollte gefördert werden (Tab. 4-2). Zudem gilt es, ein internationales Monitoring durch nationale und internationale Risikozentren zu gewährleisten. Dabei setzt der Beirat v. a. auf die Einrichtung eines UN Risk Assessment Panels, dessen Aufgabe darin besteht, die nationalen Risikozentren miteinander zu vernetzen und Erkenntnisse über globale Risiken zu sammeln und auszuwerten. Aufgaben, Struktur und Funktionen dieses Panels sind ausführlich in Kap. F 6.3 und H 2.2 beschrieben.

    Die 2. Handlungsstrategie soll unerwünschten Überraschungen vorbeugen und die Gesellschaft dagegen absichern. Dies kann etwa durch Gefährdungshaftung geschehen. Unter bestimmten Voraussetzungen sollte eine Versicherungspflicht (oder eventuell ein Fondsmodell) geprüft werden. Die Gefährdungshaftung kann ggf. durch eine Versicherungspflicht für Risikoerzeuger ergänzt werden. Die hier ebenfalls geeigneten Instrumente der Stärkung der persönlichen und institutionellen Kapazitäten und der technischen Maßnahmen entsprechen weitgehend den Instrumenten beim Risikotyp Damokles.
    Beim Katastrophenmanagement (3. Strategie) kommen die gleichen Instrumente wie beim Typ Damokles zum Einsatz.

    Strategien für den Risikotyp Pythia

    Beim Risikotyp Pythia, bei dem eine besonders hohe Ungewißheit bei beiden Risikokomponenten Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß vorliegt, gilt ebenfalls die Maxime, das Wissen zu verbessern, v. a. im Bereich der Grundlagenforschung (Tab. 4-3). Gleichzeitig sollten aber hier noch stärker als beim Typ Zyklop vorsorgeorientierte Strategien zum Zug kommen, da das Haftungsprinzip möglicherweise nur bedingt durchgesetzt werden und die Schadenshöhe globale Ausmaße annehmen kann. Ordnungsrechtliche Begrenzungen und Containment-Maßnahmen sind in diesem Bereich in aller Regel unumgänglich.
    Im Rahmen der Vorsorge empfiehlt der Beirat, eine Strategie einzuschlagen, die Instrumente wie das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable) oder den "Stand der Wissenschaft und Technik" einsetzt, bei denen die Kosten unterlassener Risikominderungspolitik inklusive der Kosten der Risikominderungspolitik selbst so gering wie möglich zu halten sind. Wesentliches Instrument der Vorsorge ist auch die Begrenzung des Wirkungsfeldes, in dem das Risiko zugelassen ist. Auf diese Weise läßt sich das Ausmaß einer nicht vorhersehbaren Katastrophe sinnvoll begrenzen. Haftungsrechtliche Regelungen sind zwar auch hier grundsätzlich zu empfehlen, möglicherweise aber nicht immer durchsetzbar. Deshalb ist hier auch an die Anwendung von Fondslösungen zu denken. Bei globalen Risiken vom Typ Pythia sind internationale Institutionen zur Kontrolle und zum Monitoring sowie hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen erforderlich. Die Instrumente zur Reduzierung der Schadensausbreitung, zur Stärkung der persönlichen und institutionellen Kapazitäten und zur Erhöhung der Resilienz sind in den beiden anderen Risikotypen bereits zur Sprache gekommen.
    Zweite Priorität kommt der Verbesserung des Wissens zu, so daß künftige Risikoanalysen eine höhere Abschätzungssicherheit liefern können. Dazu bedarf es der Forschung zur Ermittlung von Eintrittswahrscheinlichkeiten und möglicher Schadensausmaße. Außerdem ist auch hier ein internationales Frühwarnsystem nötig, ähnlich wie beim Typ Zyklop.
    Das Schadensmanagement kommt den Instrumenten der vorherigen Risikotypen sehr nahe. Schwerpunkt ist hier aber die Begrenzung des Schadensausmaßes durch lokale Begrenzungen des Einsatzes risikoerzeugender Aktivitäten.

    Strategien für den Risikotyp Pandora

    Risiken des Typs Pandora zeichnen sich durch Ungewißheit bei der Eintrittswahrscheinlichkeit und beim Schadensausmaß (nur Vermutungen) sowie durch hohe Persistenz und Ubiquität aus (Tab. 4-4). Da die negativen Auswirkungen dieser Risikoquellen noch unbekannt sind, im ungünstigsten Fall aber globale Ausmaße mit irreversiblen Folgen annehmen können, sind hier Forschungsanstrengungen zur Entwicklung von Ersatzstoffen und ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung oder Reduzierung dieser Risikoquellen dringend geboten. Dies muß auch im internationalen Rahmen umgesetzt werden.
    Beim Risikotyp Pandora hat die Bereitstellung von Ersatzstoffen oder -verfahren Vorrang vor allen weiteren Strategien. Was die Erforschung und Entwicklung von Substituten angeht, gilt im Prinzip dasselbe wie beim Typ Damokles. Darüber hinaus erfordert dieser Typ eine weitreichende Grundlagenforschung, die angemessen gefördert werden sollte.
    In einem 2. Schritt sollten die Risikopotentiale dadurch verringert werden, daß bestimmte Risikoquellen reduziert, örtlich begrenzt oder gar gänzlich verboten werden. Hierzu eignen sich sowohl ein ordnungsrechtliches Vorgehen, z. B. über Mengenbegrenzungen durch Umweltstandards, als auch ein ökonomisches Anreizsystem mit Hilfe von Zertifikaten. In manchen Fällen ist auch die Anwendung der Gefährdungshaftung angebracht. Wie auch bei den vorangegangenen Typen gelten die Instrumente der technischen Verfahren zur Risikobegrenzung und der Stärkung der persönlichen und institutionellen Kapazitäten.

    Strategien für den Risikotyp Kassandra

    Bei den Risiken vom Typ Kassandra besteht kaum noch Unsicherheit, die Menschen verdrängen aber diese Risiken wegen ihrer schleichenden Form bzw. der verzögerten Wirkung zwischen auslösendem Ereignis und Schaden (Tab. 4-5). Häufig fehlt auch wegen der Kurzzeitlegitimation der Politik durch kurze Wahlperioden die Motivation, sich solch langfristiger Bedrohungen anzunehmen. Hier ist der Beirat der Meinung, daß durch Maßnahmen der kollektiven Selbstverpflichtung (etwa Verhaltenskodex der multinationalen Unternehmen) durch langfristig angelegte globale Institutionen (UN Risk Assessment Panel) sowie durch internationale Konventionen die Langfristverantwortung weltweit gestärkt werden muß. Zur Reduzierung dieser Risiken sind dann auch Stoffmengenbegrenzungen geeignet.
    Wenn eine erhebliche zeitliche Verzögerung zwischen dem auslösenden Ereignis und der Schadenswirkung vorliegt, gilt es, durch geeignete Instrumente eine langfristige Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen zu stärken. Dabei setzt der Beirat vorrangig auf die Selbstverpflichtung von Staaten und wichtigen Akteuren (etwa multinationale Unternehmen oder Rückversicherer). Eventuell greifen auch hier Fondslösungen. Auf der eher individuellen Ebene können potentiell Betroffene durch die Verknüpfung von Partizipation und Empowerment mehr Handlungskapazitäten erlangen, und damit zu einer langfristigen Verantwortung gegenüber ihrer eigenen Lebenswelt angeregt werden.
    Die nächste Priorität gilt der stetigen Reduzierung der Risikopotentiale, indem über Ersatzstoffe und -verfahren Alternativen entwickelt werden und nicht ersetzbaren Risikopotentialen durch Mengenbegrenzung oder zumindest einer Begrenzung des Anwendungsraumes Einhalt geboten wird. Die dafür erforderlichen Instrumente sind bei den anderen Risikotypen bereits behandelt worden.

    Strategien für den Risikotyp Medusa

    Der Risikotyp Medusa verlangt nach Maßnahmen der Vertrauensbildung und der Verbesserung des Wissens zur Reduzierung der verbleibenden Unsicherheiten (Tab. 4-6). Aufklärung allein reicht hier nicht aus, vielmehr müssen die betroffenen Menschen selbst an der Gestaltung ihrer Lebenswelten mitwirken und die Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten, die mit diesen Risiken verbunden bleiben, konstruktiv in eigene Entscheidungen einbinden.
    Bei diesem Risikotyp sind das Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit gering, dagegen ist das Mobilisierungspotential besonders hoch. Um die Öffentlichkeit über das tatsächliche Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit aufklären zu können, muß zuallererst Vertrauen gebildet werden. Dazu können unabhängige Institutionen beitragen, die offen über die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung, aber auch über den rein hypothetischen Charakter vieler Befürchtungen informieren. Die Betroffenen sollten außerdem die Chance erhalten, sich aktiv an der Gestaltung ihrer Lebenswelt zu beteiligen. Auf diese Weise sind sie mit Entscheidungen konfrontiert, bei denen es häufig um eine Auswahl zwischen riskanten Optionen geht. Bei der Abwägung von Risiken müssen sie dabei selbst entscheiden, inwieweit sie den oft wenig begründeten Ängsten in der Öffentlichkeit mehr Gewicht beimessen als etwa den nachgewiesenen Schadenspotentialen alternativer Handlungsoptionen. Auch in Genehmigungsverfahren sollen die Betroffenen mitwirken können, um so selbst die Zielkonflikte abzuwägen und aus der Vielzahl der Optionen die am ehesten vertretbare auszuwählen. Um das Problem von Risiken des Typs Medusa gesellschaftlich bewältigen zu können, ist die Förderung sozialwissenschaftlicher Forschung zum Mobilisierungspotential und zur sozialen Bewältigung von Risikokonflikten notwendig.
    Auch bei diesem Typ sollte das Wissen über die angeblichen Risikopotentiale verbessert werden. Es bedarf der Forschung zur Verbesserung der Abschätzungssicherheit und allgemeiner Grundlagen. Daneben sind Maßnahmen zu einer effektiven und glaubwürdigen Risikokommunikation einzuleiten.

    Dynamische Betrachtungsweise

    Ziel aller Maßnahmen zur typenspezifischen Risikoreduktion ist die Überführung von Risiken aus dem Grenzbereich in den Normalbereich. Mit diesem Anspruch verbindet der Beirat die grundsätzliche Einsicht, daß es in der Risikopolitik nicht um eine Reduzierung der Risiken auf Null geht, sondern um eine Verlagerung der Risiken auf solche Größenordnungen, bei denen die gängigen Methoden der Risiko-Nutzen-Abwägung durch Marktteilnehmer und staatliche Regulatoren zum Einsatz kommen können. Des weiteren betont der Beirat, daß globale Risiken, die sich im Normalbereich befinden, nicht notwendigerweise internationale Anstrengungen zu ihrem Management erfordern. Die Industrieländer können aber Hilfestellung beim Aufbau von effektiv arbeitenden Regulationsbehörden, funktionierenden Versicherungsmärkten und effektiven Notfallschutzmaßnahmen geben. Wird aber ein globales Risiko durch den in Kap. 2 beschriebenen Entscheidungsbaum als einer der auf dem Grenzbereich lokalisierten Risikotypen identifiziert, sind international wirksame Maßnahmen notwendig, um das Risiko aus dem Grenz- in den Normalbereich zu überführen.
    Diese Überführung wird im Regelfall in mehreren Schritten erfolgen müssen. Selbst wenn einzelne Maßnahmen erfolgreich sind, kann sich das Risiko von einem Typ zu einem anderen Typ bewegen, ohne direkt in den Normalbereich einzutauchen. Diese Bewegung von einem Typ zum anderen ist in Abb. 4.1-1 wiedergegeben.
    Dabei gibt es in der Regel 2 Typen von Maßnahmen: zum einen die Maßnahmen, die das Wissen verbessern (durch Forschung und Haftung), zum anderen die regulativen Maßnahmen, die auf die jeweils typenspezifischen kritischen Größen (Wahrscheinlichkeit, Schadensausmaß, Irreversibilität, Persistenz, Verzögerungswirkung und Mobilisierung) einwirken. Wie aus Abb. 4.1-1 ersichtlich, führt eine Wissensverbesserung in der Regel zu einer Bewegung von einem Risikotyp zum anderen (etwa von Pandora zu Pythia, von Pythia zu Zyklop und von dort zu Damokles oder Medusa). Eine Maßnahme, die an der jeweiligen kritischen Größe ansetzt, kann ebenfalls eine Kaskadenbewegung in Gang setzen oder aber direkt eine Überführung in den Normalbereich bewirken.
    Die Bewegung von einem Risikotyp zum anderen kann an einem fiktiven Beispiel erläutert werden. Man stelle sich einen Stoff vor, der global eingesetzt wird und bei dem eine hohe Persistenz vorliegt und irreversible Folgen begründet vermutet werden. Dieses Risiko fällt in die Kategorie Pandora. Sie ist im oberen Drittel des Grenzbereiches angesiedelt, wobei die Unsicherheitsbalken (Konfidenzintervalle) bis in die inakzeptable Zone reichen. Trifft man auf ein Risiko diesen Typs, dann lassen sich primär 2 Strategien einsetzen: Wissensvermehrung und Begrenzung des Risikopotentials. Zunächst zur Wissensvermehrung: Das Wissen um das Risiko kann weiter quantifiziert werden, wobei sich möglicherweise der Verdacht auf irreversible Folgen oder hohe Persistenz erhärtet. In diesem Fall sind eine Substitution des Stoffs oder sogar ein Verbot dringend angeraten. Dann wird das Risiko eindeutig in den Verbotsbereich überführt. Ein Sonderfall liegt vor, wenn zwischen dem auslösenden Ereignis (Exposition von Menschen oder der Umwelt) und dem Schaden eine große Zeitspanne besteht, so daß politisch eine direkte Einflußnahme im Sinn eines Verbots oder einer Begrenzung wenig aussichtsreich ist. Dann liegt der Risikotyp der Kassandra vor. Um diesem Typ zu begegnen, bedarf es der Stärkung der Langfristverantwortung und der Mobilisierung der wichtigsten Akteure, so daß die gebotene Strategie der Substitution oder zumindest der Begrenzung auch wirklich zum Zug kommt.

    Bei diesem Beispiel wird davon ausgegangen, daß es gelänge, die räumliche Ausbreitung dieses Stoffs zu begrenzen, um so eine ubiquitäre Verteilung zu verhindern. In diesem Fall wird das Risiko in die Kategorie Pythia überführt, denn die Eintrittswahrscheinlichkeit sowie das Ausmaß der Folgen sind beide noch mit hoher Ungewißheit verbunden. Deshalb geht es in diesem Fall zunächst darum, das Schadensausmaß eindeutiger bestimmen zu können. In dem fiktiven Beispiel wird angenommen, daß der begründete Verdacht eines meßbaren Schadens vorliegt und dieser groß genug erscheint, um eine Überführung in den Normalbereich auszuschließen. Unter diesen Umständen setzt sich die Bewegung in Richtung auf den Typ Zyklop fort. Der Risikotyp Zyklop ist in Abb. 4.1-1 ein zentraler Knotenpunkt, da sich von dort aus die Risiken in andere Typen wandeln können. Gelingt es z. B., die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu bestimmen und ist diese relativ gering, läßt sich das Risiko beim Typ Damokles einordnen, der ja durch ein hohes Schadensausmaß und eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit charakterisiert ist. Ist dagegen die Wahrscheinlichkeit hoch, bewegt sich das Risiko, sofern ein Verzögerungseffekt auftritt, wiederum in Richtung auf die Kategorie Kassandra. Ohne diesen Verzögerungseffekt dürften ein Verbot oder eine schnelle Substitution erfolgen (Überführung in den Verbotsbereich). Läßt sich durch technische oder andere Maßnahmen das Ausmaß der Schäden auf ein "normales" Niveau reduzieren, steht einer Überführung in den Normalbereich nichts mehr entgegen.
    Bleibt das Katastrophenpotential aber trotz Reduzierungsmaßnahmen sehr hoch, landet das Risiko beim Typ Damokles. Auch hier kann einerseits durch Verbesserung des Wissens, andererseits durch Reduzierung des Katastrophenpotentials eine Überführung in den Normalbereich erfolgen. Versagen alle Mittel der Reduzierung, ist eine Grundsatzentscheidung zu treffen, ob man den Nutzen dieses Risikos als so hoch ansieht, daß man das hohe Schadenspotential in Kauf nimmt, da ja die Eintrittswahrscheinlichkeiten für einen Katastropheneintritt gering sind. Andernfalls wandert das Risiko in den Verbotsbereich.
    Die gewünschte Überführung in den Normalbereich kann bei allen Typen über den Riskotyp Medusa erfolgen. So könnte die Öffentlichkeit etwa bei dem beschriebenen Beispiel wenig Vertrauen in die angebliche Reduzierung des Schadenspotentials haben. Man braucht nur an die Probleme mit den Castor-Transporten zu denken. Selbst wenn das gesundheitliche Risiko der Strahlung von Ausmaß und Wahrscheinlichkeit als gering einzustufen ist, was bei den punktuellen Überschreitungen der Strahlendosen gerechtfertigt erscheint, so ist doch der Verlust in Bezug auf Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit groß genug, um einen hohen politischen und psychologischen Mobilisierungseffekt hervorzurufen. Aus leidvoller Erfahrung mit öffentlichen Risikodebatten und ihren politischen Folgewirkungen mögen sich viele Risikoregulatoren lieber für ein Verbot einsetzen, selbst wenn die Schadenshöhe und die Eintrittswahrscheinlichkeit ein Normalrisiko signalisieren. In diesem Fall sind vertrauensbildende Maßnahmen und weitere Verbesserungen des Wissensstandes notwendig, um die Bevölkerung von der "Normalität" des Risikos zu überzeugen und gleichzeitig die Anlagebetreiber auf die gesetzlich vorgeschriebene Handhabung des Risikos zu verpflichten. Darüber hinaus ist immer kritisch zu prüfen, ob die eingeleiteten Maßnahmen auch wirklich die gewünschte Begrenzung des Risikos herbeigeführt haben.
    Hat man alle diese Stationen durchlaufen, dann wird man schließlich den Normalbereich erreichen. Der Beirat ist sich der Tatsache bewußt, daß diese Kaskadenwanderung eine intensive Beschäftigung mit den jeweils zur Bewertung anstehenden Risiken und eine kontinuierliche Erfassung und wissenschaftliche Begleitung der Risikoreduktionsmaßnahmen voraussetzt. Dies erfordert Zeit, institutionelle Vorkehrungen und Ressourcen. Der Beirat ist aber der Meinung, daß sich die Investitionen in ein globales Risikomanagement angesichts der Tragweite der globalen Bedrohungen lohnen. Der hier vorgelegte Analyserahmen von Risikotypen und die damit verbundene Maßnahmendynamik bilden ein logisch konsistentes und politisch praktikables Konzept, das der Bundesregierung und der Staatengemeinschaft helfen soll, das Augenmerk auf die Risiken zu legen, die sich zu globalen Bedrohungen ausdehnen können, während die Risiken aus dem Normalbereich im Rahmen nationaler Regulationsstrukturen gut aufgehoben sind. Die Konzentration auf das Wesentliche bildet des weiteren eine wichtige Botschaft an die Öffentlichkeit, die bei der allgemeinen Verwirrung über das Schadenspotential von Risiken Orientierung und Handlungssicherheit von Politik und Wissenschaft erwartet. Gleichzeitig können die Einteilung nach Risikotypen und die Anwendung der typenspezifischen Maßnahmen eine effektive und zielgerechte Behandlung von Risiken erleichtern und Risikomanagern aus Wirtschaft und Politik Anleitungen zum rationalen Umgang mit Risiken vermitteln.
     

     

    5 Zentrale Handlungsempfehlungen

     

    Ausbau der Gefährdungshaftung

    Es gibt eine Reihe weltweiter Trends, die die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft gefährden können (z. B. Zunahme der Weltbevölkerung, wirtschaftliche Entwicklung, sozioökonomische Vernetzung der Nationen und Volkswirtschaften). Hierauf kann in 2facher Weise reagiert werden. Zum einen kann versucht werden, durch Expertenvorgaben, Technikfolgenabschätzungen und Konsensrunden einen Entwicklungspfad zu definieren, der sich als nachhaltig oder zukunftsfähig erweist. Auf globaler Ebene ist ein solcher Ansatz angesichts der Präferenzen- und Interessenvielfalt, der divergierenden Risikofreudigkeit der einzelnen Gesellschaften sowie der Wissensdefizite nur begrenzt möglich. Es gibt zwar globale Umweltrisiken, bei denen sich ein globaler Konsens darüber abzuzeichnen beginnt, welche Entwicklungen als unerwünscht und nicht zukunftsfähig gelten. So lassen sich etwa für die Klimarisiken (variable) "Leitplanken" oder "Entwicklungskorridore" angeben, die nicht über- oder unterschritten bzw. verlassen werden sollen.
    Dieser Ansatz hat aber seine Grenzen, denn das begrenzte Wissen über die Folgen heutigen Handelns für die Zukunft und die damit verbundenen Bewertungsprobleme sowie die begrenzte Steuerungsfähigkeit komplexer ökonomischer und sozialer Systeme erschweren eine stringente Ableitung der "Leitplanken" sowie eine gezielte Systemlenkung. Zukunftsfähigkeit ist daher weniger ein definierbares Ziel als vielmehr ein Auftrag an die heute lebenden Menschen, Regelwerke zu entwickeln, die die Wissensproduktion in eine Richtung lenken, die von langfristigem Denken getragen wird und durch rechtzeitiges Aufdecken der negativen Implikationen heutiger Aktivitäten schnelle gesellschaftliche Anpassungsreaktionen im Sinn einer Risikominderung auszulösen vermögen. Zukunftsfähige Gesellschaften müssen somit ständig innovierende und lernende Systeme mit Anreizarrangements zur Risikominderung sein.
    Der Beirat mißt daher nicht nur der Schaffung von neuem Wissen große Bedeutung bei, sondern auch der Mobilisierung des Potentials an Problemlösungskompetenz, das dezentral in der Gesellschaft vorhanden, aber keiner zentralen Instanz bekannt ist. Dabei geht es v. a. auch darum, bislang unbekannte Risiken aufzudecken und die Innovation neuer, weniger riskanter technischer Entwicklungslinien zu fördern. Weil eine Risikofolgenabschätzung nicht oder nur bedingt möglich ist, sollten die Wissensproduktion und -mobilisierung über geeignete Anreizsysteme angeregt werden. Neben der Förderung der Grundlagenforschung (* besonders notwendig in puncto Klimawandel )verlangt dies die Gewährung von Handlungsspielräumen und damit auch die Zuweisung von klar definierten Eigentums- und Nutzungrechten. Dies eröffnet die Chance für vielfältige, am Markt unter Wettbewerbsbedingungen stattfindende Suchprozesse, die Fehler rechtzeitig aufzudekken und Irrtümer zu vermeiden vermögen. Ein wichtiges Element ist hierbei die Durchsetzung des Haftungsprinzips, das aufgrund seiner Präventivwirkung die Entstehung von Schäden verhindern soll. Wie der Beirat mehrfach betonte, steht dabei v. a. die Prävention im Vordergrund. Diese vorbeugende Wirkung wird erleichtert, wenn die jeweiligen Risiken versicherbar sind. Dann werden die Versicherungsgesellschaften Expertenstäbe zur Beurteilung dieser Risiken einrichten und zu einem an den vermuteten Risiken ausgerichteten Prämiensystem kommen. Dies wiederum trägt zur Beschleunigung der risikomindernden Wissensproduktion bei, denn Versicherungsnehmer und -geber werden aus Eigeninteresse Risikoforschung betreiben, um Fehleinschätzungen zu vermeiden und um eine Schadensbegrenzung und eine Reduzierung der Eintrittswahrscheinlichkeiten zu erreichen.
    Bei Risiken, die sich als nicht versicherbar erweisen, könnte dies durchaus bewirken, daß die risikoverursachende Handlung ganz unterbleibt. Wenn dies nicht im Sinn des Staats ist, muß eine Haftungsbegrenzung erfolgen. * anm. der Redaktion

     

    Vorsorgliche Wissenserzeugung

    Grundlage für die Beherrschung von globalen Umweltrisiken ist das Wissen über Ursachen, Mechanismen und Schadenswirkungen unerwünschter möglicher Ereignisse. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die Produktion neuen Wissens, zumeist über den Prozeß der technischen Innovation, selbst wieder Risiken bisher unbekannten Charakters hervorbringen kann. Gerade in einer hochdynamischen Gesellschaft muß die Politik dafür Sorge tragen, daß die "Ignoranzquote" c also das Verhältnis zwischen Risikogesamtheit und einschlägigem Vermeidungs- bzw. Bewältigungswissen c sich zumindest nicht verschlechtert.
    Es versteht sich von selbst, daß die Ignoranzquote durch problemorientierte Risikoforschung, welche sich mit bekannten oder doch wenigstens erahnbaren Gefahren auseinandersetzt, günstig gestaltet werden kann. Entsprechend gilt es, den hohen Standard, den die deutsche Forschung in diesem Bereich (von der Technikfolgenabschätzung bis hin zur globalen Umweltsystemanalyse) inzwischen erreicht hat, zu halten oder sogar noch anzuheben. Dies kann nicht zum Nulltarif erfolgen, doch die dafür erforderlichen Aufwendungen sind politisch hinreichend begründbar.
    Wesentlich problematischer ist die Situation, wenn es um das Management noch unbekannter bzw. nicht systematisch identifizierbarer Risiken geht, welche möglicherweise weit in der Zukunft liegen: Hier ist eine klar definierte, zielorientierte Wissensproduktion mit kurzfristigem Sicherheitsertrag nicht möglich c der Beirat hat auf diese Besonderheit schon mehrfach ausführlich hingewiesen.
    Der Schlüssel zum proaktiven Risikomanagement ist nicht das ad hoc erzeugte, sondern das auf Vorrat produzierte Wissen, wie es nur eine breit gefächerte "wert- und zweckfreie" Grundlagenforschung hervorbringen kann. Nur ein sich laufend erneuernder und erweiternder Erkenntnisvorrat ohne direkten Verwertungsbezug wird es möglich machen, komplexe Risikokonstellationen zufällig, beiläufig oder spielerisch zu entdecken und in ähnlicher Weise Bewältigungsstrategien zu finden. Der Beirat spricht sich deshalb für eine ungeschmälerte Sockelförderung der Umweltwissenschaften im weitesten Sinn aus, wobei das langfristige Ziel ein deutlich verbessertes Verständnis der Zusammenhänge im System Erde sein muß. Die entsprechende Forschung wird reale Risiken aufzeigen, die gegenwärtig nicht einmal ansatzweise erkennbar sind, die sich aber voraussichtlich mit geeigneten Maßnahmen beherrschen lassen werden.
    In diesem Zusammenhang weist der Beirat darauf hin, daß Forschung von Vielfalt und Konkurrenz lebt: Es wäre eine gefährliche Illusion anzunehmen, daß Grundlagenforschung durch Vermeidung von Doppel- und Mehrfacharbeiten "verschlankt" werden könnte c etwa in dem Sinn, daß ein Institut weltweit ein bestimmtes Kompartiment der Ökosphäre exklusiv zu bearbeiten hätte. Wenn überhaupt, dann ist ein Spektrum von Meinungen, Ansätzen und Methoden nötig, um den Raum der möglichen Risikokonstellationen hinreichend dicht abzutasten. Diese Aussage trifft insbesondere auf die Simulationsmodelle für Klima, Ozeanzirkulation, Klimakatastrophen, Vegetationsdynamik usw. zu, wo gerade eine breite Streuung von Design und Realisierung die zufällige Erfassung der kritischen c d. h. der nicht offensichtlichen c Gefahrenaspekte ermöglichen wird. Wissen ist Risikokapital, und dieses Kapital verlangt nach Diversifikation!

     

    Internationaler Mechanismus zur Risikofeststellung und -bewertung

    Wissen bildet also den Schlüssel zum Risikomanagement, aber dieser Schlüssel muß auch genutzt werden. Diese Nutzung erfolgt weltweit bisher in völlig unzureichendem Maß, wofür eine Reihe von Faktoren verantwortlich ist: mangelnde Integration von partikulärem Wissen, asymmetrischer Zugang zu Wissen, ineffektive Strukturen des Wissenstransfers usw. Dabei geht es an dieser Stelle noch gar nicht um die Umsetzung von Einsichten in konkrete Maßnahmen der Risikobewältigung, sondern um eine Vorstufe, wo Wissen Handlungsbedarf anzeigt. Gerade mit Blick auf globale Umweltgefahren kann von einer entsprechenden Aufarbeitung der verfügbaren Einsichten noch keine Rede sein. Handlungsrelevantes Risikowissen müßte hier globale Gefährdungspotentiale geografisch explizit sichtbar machen. Was etwa die Perspektiven der Welternährungssicherheit angeht, gibt es derzeit eine Reihe wenig tragfähiger Spekulationen, die das heute schon verfügbare Wissen (z. B. über die Auswirkungen zu erwartender Klimaänderungen oder fortschreitender Bodendegradationsprozesse) noch nicht annäherungsweise ausschöpfen.
    Der Beirat empfiehlt deshalb, ein "(UN) Risk Assessment Panel" einzurichten. Die grundlegenden Funktionen dieses Panels sollten denen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ähneln, obgleich die Aufgabe des (UN) Risk Assessment Panels weniger die Analyse einmal erkannter Risiken ist als vielmehr die frühzeitige und integrierte Erfassung von neuartigen, erst ansatzweise identifizierbaren Risiken von weltweiter Bedeutung umfassen sollte.
    Das (UN) Risk Assessment Panel sollte nicht eigenständig forschen, sondern die bestehende relevante Forschung sichern und stimulieren, deren Ergebnisse kondensieren und c nach einem umfassenden internationalen wissenschaftlichen Bewertungsprozeß c für die politischen Entscheidungsträger in einer sinnvollen Form aufbereiten. Hauptziel ist, einen Netzwerkknoten aufzubauen, in dem verschiedene nationale Risikoerfassungen und -bewertungen zusammenlaufen, systematisch gesammelt und aufeinander abgestimmt werden, so daß unter der Ägide dieses Panels bestimmte Aufgaben oder Funktionen, die in Kap. F 6 beschrieben werden, z. T. an bereits existierende internationale Organisationen oder Institutionen delegiert werden können. Ein solches Panel wäre demnach nicht mit der Gründung einer neuen internationalen Organisation verbunden, sondern würde auf die Kapazitäten und Kompetenzen bereits bestehender Organisationen zurückgreifen. Insbesondere 5 Aufgabenschwerpunkte sollte das Panel wahrnehmen:

    • Frühwarnsystem: Für eine internationale Vernetzung von Früherkennung und Frühwarnung sollten weltweit möglichst viele wissenschaftliche Daten und Erkenntnisse aus der Früherkennung gesammelt, systematisiert und synthetisiert werden, um eine zuverlässige Vorhersage drohender Gefahren gewährleisten zu können. Voraussetzung dafür wäre vermutlich die Unterstützung bestimmter Länder bei der Schaffung nationaler Früherkennungssysteme oder Risikozentren, insbesondere in vulnerablen Räumen.
    • Auswertung von Monitoring: Das Panel sollte frühzeitig und handlungsorientiert die Ergebnisse der Monitoringsysteme auswerten. Einem internationalen Monitoring käme die Aufgabe zu, Risikopotentiale zu überwachen, zu kontrollieren und zu regeln. Zu bestimmten technischen und organisatorischen Standards müßten sich die Staaten selbst verpflichten, damit ein wirksames Monitoring gesichert wäre. Die Überprüfung und Einhaltung der Standards könnten in Gestalt eines "internationalen TÜV" erfolgen (Kap. H 2.2.4). Institutionen wie die IAEO sollten dabei als Vorbild dienen. Ein internationales Monitoring kann nur dann gewährleistet werden, wenn nationale Überwachungsstrukturen durch institutionelle Vernetzung effektiv koordiniert werden.
    • Wissensgenese und -verteilung: Ein (UN) Risk Assessment Panel kann als Multiplikator von "Risikowissen" fungieren, indem er wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse der Risikoanalyse und Risikobewertung (Kap. C) für alle interessierten Akteure zur Verfügung stellt. Darüber hinaus sollte das Panel Risikogrundlagenforschung anregen, unterstützen und koordinieren, um Wissenslücken in der Analyse und Bewertung bestimmter Risikopotentiale (im Grenzbereich, s. Kap. C) schließen zu können.
    • Internationales Verfahren der Risikoevaluierung: Das vorgeschlagene (UN) Risk Assessment Panel könnte auch dazu beitragen, daß eine einheitliche Methode der Risikoanalyse und Risikobewertung kollektiv Gültigkeit erlangt, so daß Risikobewertungen besser vergleichbar und handhabbar werden würden. Der Beirat schlägt dazu vor, die in Kap. C eingeführte Differenzierung in Normal-, Grenz- und Verbotsbereich zugrundezulegen. Globale Risikopotentiale müßten gemäß dieser Risikoklassifizierung behandelt werden. Eine kollektiv anerkannte Risikobewertung würde also jene Risikopotentiale, die sich im "roten Bereich" bewegen, als inakzeptabel beurteilen und mit Verboten belegen. Im Grenzbereich müßten die Risikopotentiale mit Hilfe einer regulativen Politik bewältigt werden, wobei einer kontinuierlichen Wissensgenerierung erhebliche Bedeutung zukäme.
    • Fokussierung auf wichtigste Themenfelder und Bestimmung der "Sicherheitsstreifen": Das (UN) Risk Assessment Panel soll die wesentlichen Politikbereiche (beispielsweise 4c5 Felder) identifizieren, sich bei seiner Arbeit auf diese Bereiche konzentrieren und hierfür die "Sicherheitsstreifen", also die noch akzeptablen Übergangsbereiche zu intolerablen Zuständen, bestimmen.

    Die Funktion des Panels wäre demnach die interdisziplinäre Kondensierung der wissenschaftlichen Forschung zu den Risiken des Globalen Wandels (politikorientiertes Abwägen aller Einzelergebnisse), und zwar möglichst

    • · unabhängig vom direkten Interesse einzelner Staaten,
    • · unabhängig vom direkten Verwertungsinteresse der Privatwirtschaft,
    • · unabhängig vom direkten Einfluß privater politischer Verbände und Interessensgruppen.

    Das (UN) Risk Assessment Panel sollte zudem als c wissenschaftlich fundierte c Schnittstelle zwischen privaten Akteuren (Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, Wirtschaftsverbänden) und der Politik dienen, indem Eingaben von Nichtregierungsorganisationen ermöglicht, wissenschaftlich geprüft und bewertet werden. Eine wichtige Aufgabe des Panels wäre außerdem die Information der staatlichen und privaten Akteure (auf allen Ebenen) über den Erkenntnisstand zu allen Umweltrisiken von internationaler Bedeutung.

     

    Schaffung wirkungsvoller Kapazitäten der Risikobewältigung

    Die bisher ausgesprochenen Empfehlungen sollen dazu beitragen, daß Umweltrisiken entweder erst gar nicht entstehen oder rechtzeitig vorhergesehen bzw. richtig eingeschätzt werden können. Dennoch werden die entsprechenden politischen Maßnahmen allein nicht zur völligen Vermeidung von globalen Gefährdungspotentialen bzw. zur totalen Unterdrückung von regionalen Schadensereignissen führen. Entscheidend ist die Umsetzung von Wissen in Vorsorge- und Bewältigungshandlungen. Dafür fehlen selbst in vielen Industrieländern, v. a. aber in den meisten Entwicklungsländern, die notwendigen institutionellen und technischen Kapazitäten: auf internationaler Ebene sind lediglich erste Ansätze zu erkennen. Der Beirat spricht hierzu die folgenden Empfehlungen aus:

    • · Nationalen und internationalen Katastrophenschutz ausbauen: Mit Blick auf fast alle Risiken des Globalen Wandels muß auch in den Ausbau von Kapazitäten zur Katastrophenbewältigung investiert werden. Wo nicht schon existierende Mechanismen greifen, wäre zu prüfen, ob nicht Strukturen geschaffen werden können, um akute Probleme zu lösen. National wird jede Regierung hier die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen haben, wobei den finanziell überforderten Entwicklungsländern von der internationalen Gemeinschaft finanzielle und technische Unterstützung angeboten werden sollte. International könnte der Aufbau von überstaatlichen "Stand-by"-Katastrophenschutzeinheiten in Erwägung gezogen werden. Beispiele hierfür sind die Katastrophenschutzeinheiten des Roten Kreuzes oder die internationale Hilfstruppe für Dekontaminierung bei der IAEO. Diese Einheiten könnten als "schnelle Eingreiftruppe" ausgebaut und unter Beachtung der nationalen Souveränitätsrechte speziell für die Bewältigung von Umweltkatastrophen geschult werden. Die zentrale Einsatzleitung wäre in eine internationale Organisation im Rahmen der Vereinten Nationen einzubetten und eng mit dem oben vorgeschlagenen (UN) Risk Assessment Panel zu koppeln. In diesem Zusammenhang sollte auch geprüft werden, ob die Implementierung eines internationalen Umweltinspektionssystems auf freiwilliger Basis die Risikovorsorge und -nachsorge verbessern könnte.
       
    • · Nichtstaatliche Umweltverbände stärken: Ein wesentliches Element beim langfristigen Management von globalen Umweltrisiken könnte die Stärkung nichtstaatlicher Umweltverbände sein. Mit Blick auf die innerstaatliche Politik wäre zu prüfen, inwieweit beispielsweise Umweltschutzverbände verstärkt über den Weg der Verbandsklage (oder Einzelpersonen über den Weg der Umweltklage) wirkungsvoller als bisher die Interessen der Umwelt und der zukünftigen Generationen einbringen könnten. Eine unbedachte Erweiterung der Klagemöglichkeiten oder gar die Einführung der Popularklage im Umweltrecht stößt aber auf Bedenken, weil sie Mißbrauchsmöglichkeiten eröffnen und zu internationalen Wettbewerbsverzerrungen führen könnte. Eine behutsame Erweiterung der Klagemöglichkeiten entspricht aber immerhin der Tendenz des europäischen Gemeinschaftsrechts. Voraussetzung dafür wäre die Förderung einer offenen Kommunikationskultur auf der Ebene von Betrieben, Gemeinden und innerhalb von Staaten, in der auch unterschiedliche Werthaltungen und unterschiedliche Vorstellungen von Lebens- und Umweltqualität Beachtung finden müßten. Auch auf internationaler Ebene haben die Umwelt- und Entwicklungsverbände eine immer größere Bedeutung erlangt. Zum Teil werden Nichtregierungsorganisationen auf diplomatischen Konferenzen und innerhalb der Vereinten Nationen bereits Anhörungsrechte zugestanden und Zugang zu vielen Dokumenten gewährt. Es sollte geprüft werden, inwieweit Nichtregierungsorganisationen noch wirksamer in die internationalen Verhandlungs- und Umsetzungsprozesse eingebunden werden könnten. Mit Blick auf eine globale Risikobewältigungstrategie empfiehlt der Beirat insbesondere weitgehende Initiativrechte von Nichtregierungsorganisationen (einschließlich Wirtschaftsverbänden) vor dem empfohlenen (UN) Risk Assessment Panel. Das Problem der möglicherweise nicht gewährleisteten Legitimation privater Akteure ist dabei zu berücksichtigen.
       
    • · Selbsthilfepotentiale in Entwicklungsländern fördern: Der Beirat hat in seinen bisherigen Gutachten wiederholt darauf hingewiesen, daß die Risiken des Globalen Wandels sehr ungleich zwischen den Ländern und Bevölkerungsgruppen der Erde verteilt sind. Besonders gefährdet sind die Menschen in den Entwicklungsländern. Daher muß es ein wesentliches Element einer wirksamen globalen Risikopolitik sein, die Bewältigungskapazitäten in den Entwicklungsländern zu stärken, insbesondere die der am meisten gefährdeten armen Menschen. Selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung ist auch deshalb ein wichtiger Teil einer globalen Risikovorsorge- und Abschwächungspolitik, weil sie nicht nur auf Breitenwirkung abzielt, sondern zugleich strukturelle Reformen in Staat und Gesellschaft anregt. In einigen Fällen müssen zudem die Grundvoraussetzungen für einen wirksamen Umgang mit den Risiken des Globalen Wandels erst neu geschaffen werden, nämlich die Grundstrukturen einer aufgabenorientierten staatlichen Verwaltung. Auch hier ist die internationale Gemeinschaft in besonderer Weise in ihrer Solidarität gefordert. Insgesamt kann auf diese Weise das potentielle Schadensausmaß von Risiken durch weitere technische und finanzielle Zusammenarbeit deutlich gesenkt werden. Zwar leistet die deutsche Entwicklungzusammenarbeit mit ihren 3 Schwerpunkten "Armutsbekämpfung", "Umwelt- und Ressourcenschutz" sowie "Bildung und Ausbildung" einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Risiken des Globalen Wandels. Die vorhandenen Finanzmittel reichen aber nicht aus. Deshalb hat der Beirat in der Vergangenheit wiederholt eine deutliche Erhöhung der öffentlichen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit empfohlen. Das Bewältigungspotential einer Gesellschaft gegenüber den Risiken des Globalen Wandels, ihr Wissen über Verursachung und Wirkungszusammenhänge sowie ihre Fähigkeit, über Risiken zu kommunizieren, hängen direkt vom Bildungsniveau und der wissenschaftlichen Kompetenz ab. Aber gerade im Bildungsbereich hat sich das Nord-Süd-Gefälle in den letzten Jahren weiter verstärkt. Die Produktion von Risikowissen im Innovationsprozeß wird v. a. für jene Länder wichtig, deren Industrialisierung noch am Anfang steht und bei denen in Zukunft wichtige Entscheidungen in den Schlüsselbereichen der Wirtschaft anstehen. Wissenstransfer in allen sinnvollen Formen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ist deshalb ein unverzichtbares Instrument des globalen Risikomanagements. Das oben vorgeschlagene (UN) Risk Assessment Panel könnte hier eine wesentliche Rolle spielen.

     

    Ökologische Kriterien der Entwicklungszusammenarbeit

    Selbst die bestgemeinte Solidarität mit den durch den Globalen Wandel und Klimawandel besonders gefährdeten Ländern und Gruppen ist zum Scheitern verurteilt, wenn nicht auch die Empfänger von Solidaritätsleistungen einige Grundregeln zum Schutz unserer gemeinsamen Umwelt beachten. Deshalb empfiehlt der Beirat, verstärkt über ökologische Kriterien von Entwicklungszusammenarbeit nachzudenken.
    Der Umweltschutz wurde bereits 1975 von der Bundesregierung in den Zielkatalog der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit aufgenommen und 1986 zu einem der 5 fachlichen Schwerpunkte dieser Zusammenarbeit erklärt. Der Trend hat sich seit der Rio-Konferenz verstärkt. Mehr als ein Viertel aller bilateralen Gesamtzusagen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit betreffen mittlerweile den Bereich des Umweltschutzes. Das waren in den letzten Jahren mehr als 1 Mrd. DM.
    Der Beirat hält diese Aktivitäten für einen sehr wichtigen Beitrag zur Reduzierung globaler Umweltrisiken. Es wird begrüßt, daß die Umweltverträglichkeit als Element in die Projektvorhabensförderung des BMZ integriert wurde. Umweltstandards als Grundlage der Entwicklungszusammenarbeit sollten dabei zukünftig eine stärkere Bedeutung einnehmen. In diesem Zusammenhang sind die laufenden Bemühungen des Entwicklungsausschusses der OECD zu unterstützen, eine Harmonisierung der Schutz- und Kontrollmaßnahmen der unterschiedlichen Geberländer herbeizuführen. Nicht zuletzt sollte geprüft werden, ob auf europäischer Ebene die Verankerung des Schutzes der globalen Umwelt als ein Ziel der Entwicklungszusammenarbeit in Art. 130u Abs. 2 EGV bzw. nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages, Art. 177 Abs. 2 EGV gemeinschaftsweit verankert werden sollte.
     

     

    Förderung der Risikomündigkeit

    Eine dynamisch sich entwickelnde Weltgemeinschaft kann keinen risikofreien Weg gehen, wenn unverzichtbare sozioökonomische Chancen wahrgenommen werden sollen. Im übrigen kann gerade eine risikoscheue Politik sich langfristig als besonders riskant erweisen, da mit der Vermeidung bekannter Gefahren zugleich Optionen für die spätere Bewältigung unbekannter Risiken zunichte gemacht werden können. Der Globale Wandel bringt allerdings Risiken einer neuen Charakteristik mit sich (z. B. die Gefahr der Veränderung ozeanischer Strömungsmuster), die nahezu alle Menschen auf diesem Planeten gemeinsam, aber mit zumeist höchst unterschiedlichen Konsequenzen, betreffen und deren potentielle Auswirkungen weit in die Zukunft der Menschheit hineinreichen könnten. Diese besondere Risikoqualität erfordert eine neue Qualität der Risikoverantwortung, wie sie nur der "risikomündige Bürger" wahrnehmen kann. Der risikomündige Bürger sollte

    • adäquat über den aktuellen Erkenntnisstand globaler Umweltrisiken informiert sein,
    • weitestgehend bei wirklich kritischen Entscheidungen über die Inkaufnahme bestimmter Umweltrisiken einbezogen werden,
    • die unter seiner Beteiligung getroffenen Entscheidungen auch dann mittragen, wenn sich diese im Nachhinein als fehlerhaft erweisen sollten.

    Der Beirat empfiehlt der Bundesregierung zu prüfen, ob das existierende Instrumentarium zur Förderung dieser 3 Hauptelemente der Risikomündigkeit bisher tatsächlich ausgeschöpft worden ist bzw. ob dieses Instrumentarium weiterentwickelt werden sollte. Die nicht gerade vertrauensstiftenden Vorgänge im Zusammenhang mit BSE und Transporten von radioaktivem Material legen die Vermutung nahe, daß hier deutliche Verbesserungen möglich sind.
    Allerdings sind 2 fundamentale Probleme zu überwinden: Zum einen müssen im Zusammenhang mit globalen, d. h. insbesondere Landes- und Generationengrenzen überschreitenden Gefahren kompetente, faire und effiziente Formen der politischen Repräsentanz und Partizipation entwickelt werden. Diese Herausforderung steht gegenwärtig im Mittelpunkt der Debatte über die Perspektiven von "Global Governance". Der Prozeß der Gestaltung und Umsetzung der Klimarahmenkonvention stellt möglicherweise ein Paradigma dafür dar, was im globalen Kontext dem lokalen Willensbildungsprozeß (inklusive "Runder Tische z.B bei Klimakatastrophen") entsprechen könnte.
    Zum anderen ist Risikomündigkeit keine Zielvorstellung, die alle Bringschuld bei den politischen Mandatsträgern oder Behörden sieht. Das Angebot zur Information, zum Diskurs, zur Mitgestaltung und zur gemeinsamen Verantwortung muß auch vom "Weltbürger" wahrgenommen werden. Insofern endet diese Zusammenfassung mit einem Aufruf zur Risikopartnerschaft an alle, die sich oder ihre Nachkommen von globalen Umweltveränderungen bedroht fühlen: selbst relative Sicherheit ist kein Gut, das ein wie auch immer geartetes Kollektiv zur freien Inanspruchnahme zur Verfügung stellen kann.
    Quelle: WGBU

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